Einmal ist keinmal… oder? (Teil 2)

Compliance Hinweis

Im ersten Teil unseres Whistleblowing-Blogs haben wir ein klein wenig die historischen Ursprünge der Anti-Haltung zum Thema Whistleblowing beleuchtet und festgestellt, dass es wahrlich nicht um Spitzeltum oder Nestbeschmutzung geht. Im Gegenteil: Whistleblower durchlaufen i.d.R. einen gedanklichen (und emotionalen) Entwicklungsprozess und handeln erst nach reiflicher Überlegung. Und damit kommen wir zum zweiten Teil unseres Whistleblowing-Blogs.

Ein kleines Beispiel: ein Lagermitarbeiter beobachtet mehrfach, wie sich verschiedene Kollegen am Materiallager selbst „bedienen“. Dies kann zwei mögliche Reaktionen hervorrufen: entweder man solidarisiert sich selbst mit den Selbstbedienern (inklusive dem Risiko, möglicherweise entdeckt zu werden) oder man schaut sich das Ganze so lange an, bis man an die eigene Grenze des Gerechtigkeitsempfindens kommt. Und genau in dieser Situation bietet eine Hinweisgeberlösung einen Ausweg aus dem persönlichen Dilemma. Der Hinweisgeber kann seinem eigenen Gerechtigkeitsempfinden nachkommen, ohne dass er in den persönlichen Kontakt mit Vorgesetzten oder der Geschäftsleitung treten muss.

(Un-)Rechtsbewusstsein bei Beteiligten

An diesem kleinen Beispiel wird zugleich ein anderes Phänomen deutlich: das Rechts- oder besser Unrechtsbewusstsein im Betrieb. Dieses Unrechtsbewusstsein ist regelmäßig bei wirtschaftskriminellen Handlungen anzutreffen. Wie solche Handlungen entstehen, wird in der sog. „Fraud Triangle“ beschrieben. Danach sind drei Elemente maßgebend.

Das Element „Gelegenheit“ beschreibt die grundsätzliche Möglichkeit, eine kriminelle Handlung zu begehen, ohne ertappt zu werden. Und diese Gelegenheit wird umso größer, je besser sich der Betreffende in den Systemen und Verfahren auskennt.

Als weiterer Faktor ist das „Motiv“ bzw. der Druck anzuführen. Hier bestehen unterschiedlichste Motivlagen. Angefangen von der klassischen persönlichen finanziellen Engpasssituation, über als ungerecht empfundene Vergütungs- oder Beförderungspraktiken bis hin zu Mobbing sind verschiedenste Motivationen vorzufinden.

Der dritte und letzte Faktor der Triangle ist die „innere Rechtfertigung“. D.h. der Täter muss die Tat vor sich selbst rechtfertigen können, da sich ein Ersttäter i.d.R. nicht als Krimineller, sondern als Benachteiligter begreift. Hier kommt es häufig zu Aussagen wie „Was soll’s, das machen doch alle“, „Wenn ich sehe, was für Kunden alles geht“ oder auch „Ist doch nicht so schlimm, das waren doch nur Kleinigkeiten“.

Treffen diese drei Elemente aufeinander, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer baldigen wirtschaftskriminellen Tat auszugehen.

Einmal ist keinmal

Diese „innere Rechtfertigung“ ist gleich in zweierlei Hinsicht wichtig. Zum Einen dient sie – wie dargestellt – Tätern als Grundlage für ihr Fehlverhalten, zum Anderen aber auch Führungskräften als Entschuldigung für eine Nichtverfolgung bzw. Bagatellisierung eines Vorfalls.

Damit senden Führungskräfte aber zugleich ein weiteres Signal aus: „Es ist uns/mir nicht wert, der Sache nachzugehen.“. Die Signalwirkung, die von einer derartigen Haltung ausgeht, ist leicht nachzuvollziehen.

Parallel dazu muss man bedenken, dass Ersttäter im Normalfall nicht gleich mit dem „großen Wurf“ starten, sondern die von ihnen ausgemachte vermeintliche Lücke erst mehrfach testen. Damit kommen wir zugleich an einen zentralen Punkt: was ist eine Bagatelle bzw. ab wann sollte ein Fehlverhalten geahndet werden?

Hier kann es keine Wertgrenzen geben, da jede Wertgrenze eine Handlung unterhalb dieser Grenze legitimieren würde. Jeder Diebstahl von Kleinmaterial, jede Manipulation von Arbeitszeiten, jeder Abrechnungsbetrug ist zudem nicht nur ein Betrug am Unternehmen, sondern zugleich auch ein Betrug an allen Kollegen/-innen, die sich redlich verhalten.

Dementsprechend kann es in diesem Punkt nur eine mögliche Position geben: Null Toleranz!

Hinweisgeberlösungen: ein Ausweg aus dem Dilemma

Nun steckt der Betrieb in einem Dilemma: auf der einen Seite möchte man vertrauensvoll mit loyalen Beschäftigten arbeiten, auf der anderen Seite dürfen aber weder eine „Selbstbedienungsmentalität“ noch ein Denunziantentum im Betrieb gefördert werden. Genauso sind es nicht zwingend Mitarbeiter, die in Fehlverhalten involviert sind. Auch Führungskräfte können betroffen sein.

Dieses Dilemma löst eine Hinweisgeber-Software allein leider nicht auf. Die Anschaffung einer Software ist – für sich betrachtet – also schon mal nicht die Lösung. Sie kann aber ein Teil dessen sein. Entscheidend ist vielmehr, auf welche Art und Weise die Einführung einer Hinweisgeberlösung vorbereitet und umgesetzt wird.

In dieser Phase werden die Eckpfeiler für eine sinnvolle Hinweisgeber-Lösung gesetzt. Welche Eckpfeiler das sind, betrachten wir im nächsten Teil unserer Reihe.

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